Der Hiddeseemarathon

Der Hiddeseemarathon

Am Freitag, dem 24.06.2005, gegen 09:00 Uhr luden Andreas und ich die Boote auf das Auto und fuhren nach Stralsund. Wir hatten während der Fahrt wenig Verkehr und kamen, obwohl fast die Hälfte der Strecke Landstraße war, zügig durch. In Stralsund angekommen, wurden wir sehr herzlich begrüßt und aufgenommen. Nachdem unser Zelt stand, haben wir einen Erkundungsspaziergang gemacht. Auf dem Steg des Kanuclubs sahen wir den Stralsund. Für uns „Rheinpaddler“ taten sich sehr beindruckende Entfernungen auf, obwohl die Ostsee erst einige Kilometer weiter begann. Es waren großen Weiten zu den verschiedenen Ufern. Es war der Vorabend des Hiddensee-Marathon und gegen 20:00 Uhr erfolgte eine kurze Einweisung. Wir stellten fest, dass wir diese Gewässer erst kennen lernen müssen und viel zu wenig Zeit mitgebracht hatten. Was wir jedoch dabei hatten waren die (teilweise vorgeschriebenen) Sicherheitsausrüstungen, die wir am nächsten Tag tatsächlich noch brauchen sollten!

Am 25.06.05 gegen 5:00 Uhr klingelte der Wecker. Das erste heiße Wasser für Kaffee und Tee hatte Andreas schon aufgestellt; somit konnte ich direkt meinen Kaffe aufschütten um wach zu werden, heißt: den Kreislauf in Schwung zu bringen. Es war dann bis zum Start auch nicht so viel Zeit, also zogen wir uns zügig um und hatten somit genügend Zeit um die Boote zu wassern und die Startposition einzunehmen. Der Start selbst wurde um 15 Minuten wegen eines Nachzüglers verschoben. Ich war (vor)laut der Meinung, dass das Bummeln nach der ersten spendierten Runde vergessen werden kann. Irgendwie schien der Nachzügler das aber gar nicht verstanden zu haben.

Das Wasser war spiegelglatt und es ging kein Lüftchen. Der „Startschuss“ fiel um 06:15 Uhr durch Zählen bis drei. Es ging los - wir waren unterwegs! Etwa 20 Paddler in Seekajaks stachen (sprichwörtlich) in See!! Wir waren für die Ostsee wie folgt gewappnet: eine nautische und normale Karte von der Strecke, ein Ersatzpaddel und Schwimmweste in der hinteren Luftkammer, Ersatzkleidung und Lebensmittel in der vorderen Luftkammer sowie Karte, Kompass, Paddelleine und Getränke auf dem Deck im Gepäcknetz. Unser Plan war logisch und einfach: „Wir verfolgen die Paddler vor uns!“. Dieser Plan hatte leider einen kleinen Haken, denn diese Paddler legten ein sehr hohes Tempo vor.
Jetzt erkannten wir, warum der Sund auch Bodden heißt, denn schon ca. 2 m abseits der Fahrrinne ist in ca. 40 bis 50 cm Tiefe der Grund. Wenn man sich die Karten dieser Gegend ansieht, sieht man alles schön blau eingezeichnet und man gewinnt den Eindruck man könnte überall herumpaddeln. Tatsächlich ist die Fahrrinne (auch für Paddler) sehr eng. Trotzdem, oder gerade deswegen, ist es herrlich und abwechslungsreich auf dem Bodden unterwegs zu sein, da man mit bloßem Auge die Tiefen einschätzen kann.
Nach einiger Zeit erkannten wir die Passage zwischen der Insel Bock und der Insel Hiddensee. Wir paddelten aus dem Bodden heraus in die Ostsee. Es war immer noch ein weites Stück nun konnten Andreas und ich unsere Barracudas im offenen Großgewässer testen. Es war absolut windstill und der herrlichste Sonnenschein ohne ein Wölkchen am Himmel. Wir paddelten jetzt im tiefen Wasser. An Steuerbord war die Insel Hiddensee. Wir fuhren entlang wunderschöner, einsam gelegener Sandstränden. Hin und wieder konnte man den Grund im glasklarem Wasser dunkelgrün (bedingt durch die auf dem Grund wachsenden Pflanzen) erkennen. Wir hatten ein gutes Tempo drauf, trotzdem hatten wir die vor uns Fahrenden, denen wir folgen wollten aus den Augen verloren. Das störte uns nicht wirklich, denn hier an der Ostseeküste, bei diesem Wetter, zu paddeln – das wollten wir auch genießen. Eines der Begleitboote teilte uns mit, dass wir „nur“ 35 Minuten von den Ersten entfernt wären und alles noch „drin sei“. Ich antwortete das es schon OK ist, wenn wir nicht als Erste durchs Ziel gelangen würden. Ich muss gestehen: Ich weiß bis heute nicht, ob sie den Scherz verstanden haben. Die Veranstalter kontrollierten hin und wieder das inzwischen weit verstreute Teilnehmerfeld. Sie hielten mit ihren Motorbooten einen viel Abstand, um keine großen Wellen zu machen.
Es war gegen 11:30 Uhr als etwas Wind aufkam. Die Wettervorhersage war unklar gewesen, denn sowohl Gewitter und Wind, als auch sonniges Wetter war für den ganzen Tag vorhergesagt. Nach der stehenden Luft tat uns der auffrischende Wind gut. Der Sandstrand hörte auf und ein schroffes Steinufer begann.
Wir beschlossen in einer Bucht, nahe eines großen gekenterten Canadiers Pause zu machen. Erst als wir dem Ufer näher kamen, entdeckten wir im Wasser viele Steine und Felsen. Diese galt es zu umfahren, was wir beide auch sehr gut und schnell taten. Später wurde mir erzählt: das eine Gruppe Paddler mit diesem Canadier gekentert war. Während der Pause wurde der Wind merklich stärker, Wolken traten vor die Sonne und die See wurde auch unruhiger. Als Vorsichtsmaßnahme holten wir unseren Paddelleinen heraus und seilten unsere Paddel am Kajak fest. Das Einsteigen in die Boote gestaltete sich dann schon als schwieriger, der Wind wurde immer kräftiger und immer größere Wellen schlugen gegen das Ufer.
Nun hatten wir den Wind und die Wellen von der Seite und wir paddelten in einem Zickzack Kurs. Das „Testen“ der Boote war noch nicht abgeschlossen, denn die Wellen wurden wirklich hoch und brachen immer wieder von der Seite über uns und die Boote herein. Soweit mir die Zeit blieb versuchte ich zu sehen ob Andreas noch im Kajak war, denn durch die Wellen sahen wir uns nur noch ab und zu. Der Wind nahm immer mehr zu als wir an der Nordspitze von Hiddensee ankamen. Es war ein herrlicher Anblich: in dem dunklen Wasser (der Himmel war eingetrübt) konnte man Sandbänke und Felsen auf dem Grund ausmachen – ein farbenfrohes Wechselspiel. Den Anblick konnten wir leider, durch Wind und Wellengang bedingt, kaum genießen. Der Wind drehte auf Nordnordwest und wir auf Nordnordost - somit hatten wir Wind und Wellen im Rücken. Später wurde uns bestätigt das wir zu diesem Zeitpunkt bereits Windstärke fünf bis sechs hatten. Unser Bootstest ging weiter: Wellenreiten mit Kajaks! Das ist Küstenpaddeln pur! Man spürte regelrecht, wenn eine große Welle das Kajak hinten aufnahm. Man versuchte in diesem Moment durch schnelles Paddeln die Geschwindigkeit an die Welle anzupassen. Man merkte wie die Welle das Boot hinten anhob, gleichzeitig sah man die Spitze des Kajaks, manchmal sogar bis zur Luke, im Wasser verschwinden. Nun ging es los! Das Steuerblatt hing hinter der Welle in der Luft und man merkte wie die Welle mit dem Kajak immer schneller wurde. Ein paar Mal musste ich mit dem Paddel die Fahrt raus nehmen, weil das Kajak anfing quer zur Welle zu treiben. In diesem Fall wäre ein Kentern und Durchrollen unvermeidlich gewesen. Ein Durchrollen und wieder „oben auf“ im Kajak sitzen wäre bei diesen Verhältnissen nicht so ganz einfach gewesen. Teilweise hatte ich Geschwindigkeiten drauf, die das Herz (ungefähr mit dem Gedanken: „oh oh“) schneller schlugen ließen. So surften wir auf der Ostsee über die Nordspitze vom Hiddensee in den Bodden zurück. Hier war das Wasser ruhiger und fast so zahm wie auf dem Rhein und die Insel Hiddensee gab ein wenig Windschutz. Wir hatten wieder die Möglichkeit uns zu unterhalten und waren beide der gleichen Ansicht: Allein das Surfen auf den Wellen mit diesen Kajaks, in diesem glasklaren Wasser waren die Mühen der Anreise wert. Nun paddelten wir gemütlich weiter und entdeckten, dass wir trotz Karte und Kompass die Strecke nur vereint erkennen konnten. Der Wind wurde immer stärker. Das sahen wir als guten Rückenwind an. Als wieder das Begleitboot des Veranstalters in unsere Höhe kam, wollten wir von den Leuten wissen, ob unsere geplante Strecke richtig sei. Der Veranstalter teilte uns jedoch mit, dass eine Sturmwarnung bis zur Stärke 9 angesagt worden war und der Marathon daher abgebrochen würde. Der Veranstalter ließ uns offen weiter zu paddeln, aber wenn, dann auf eigene Verantwortung. Da wir die Gewässer des Boddens nicht kennen und es, aus unserer Sicht, dem Veranstalter ernst war, stimmten wir dem Abbruch zu. Der Veranstalter bat uns in den Hafen von Schaprode zu paddeln. Im Hafen stellten wir fest, dass wir nicht die Einzigen waren, sondern fast alle Teilnehmer des Marathons in den Hafen gerufen wurden. Lediglich die Spitze der Marathon-Gruppe war vor Eintreffen des Sturms dem Ziel so nahe, dass sie durchpaddeln durften. Im Hafen haben wir unsere Kajaks in bzw. auf ein Boot der Marine geladen, das uns anschließend nach Stralsund zurück bringen sollte.
Auf dem Rückweg musste dann die Mannschaft des Bundeswehrschiffes einen Freizeitkapitän und dessen Kahn bergen. Der hatte sein Boot außerhalb der Fahrrinne auf Sand gesetzt. Dieses Ereignis sorgte für große Abwechslung und half über das trübe Wetter hinweg.
Am Abend luden die Leute vom Stralsunder Kanuclub alle Teilnehmer sowie Hilfskräfte zu Essen und Trinken ein. Es wurde viel und gut gegrillt. Noch lange wurde an diesem Abend über die Havarie, das Wetter und die Widrigkeiten dieser Paddeltour (und anderer Paddeltouren und Boote und „unglaubliche“ Erlebnisse, usw.) gesprochen.

Am Sonntagmorgen gegen 07:00 Uhr kam einer der Veranstalter, um uns einen Stempel und die Bestätigung der Teilnahme ins Fahrtenbuch einzutragen, was wirklich keine Selbstverständlichkeit ist. Dann fuhren wir nach Hause und ein freundlicher Wachtmeister machte ein Bild von dem Auto, den Booten auf dem Dach und uns. Leider ist heute nichts mehr umsonst und eine Kopie für solch eine wunderbare Erinnerung kostet 45,00 EUR und dann noch in einer so schlechten Qualität, dass ich gerne mein Geld zurück haben würde. Das war kein schönes Ende dieses Wochenendes.

So beendeten wir unseren ersten Hiddenseemarathon. Andreas und ich waren trotzdem nicht traurig, denn wir haben all diese schönen Eindrücke erleben dürfen. Unser Ritt auf den Wellen mit viel Wind im Rücken wurde gefilmt und nun hoffen wir, dass wir auch hier einige Bilder oder eine Kopie des Filmes veröffentlichen können. Letztendlich war es trotz des Abbruchs eine gelungene Veranstaltung, wofür wir uns bei dem Veranstalter, dem Stralsunder Kanu Club, auf diesen Weg noch einmal herzlich danken wollen.

Andreas Deibele & Michael Kullmann